Ich habe bisher zwei Romane veröffentlicht und tatsächlich war es bei beiden genau gegensätzlich.
In Ellas Geschichte („Und wo ist dein Herz zu Hause?“) wusste ich genau, was passiert. Gerade bei dem West Coast Trail, auf den Ella und Ben zusammen gehen, hätte ich seitenweise Beschreibungen der Atmosphäre einfügen können, Ellas Gedanken, alles, was sie erlebt, was sie beobachtet. Aber irgendwann wurde mir klar, dass hier Dialog fehlt, dass all diese Beschreibungen Ben und Ella nicht voran bringen. Hier musste ich mir tatsächlich ganz gezielt überlegen, worüber sich die beiden denn immer zwischendurch unterhalten könnten, ohne dass es künstlich wirkt, sondern ganz natürlich.
In Lucies Geschichte („Würdest du lieber fliegen oder unter Wasser atmen können?“) war es dagegen so, dass mir ständig neue Dialoge der beiden eingefallen sind, die ich mir oft sofort notiert habe, damit ich sie nicht vergesse. Hier musste ich mir tatsächlich überlegen, was die beiden denn während all der Gespräche überhaupt machen könnten. Und genau darum geht es in einer Geschichte, wenn ihr Dialoge schreibt, meiner Meinung nach. Nämlich darum, dass ihr sie einbettet.
In dem Ratgeber „Wort für Wort“ von Elizabeth George, den ich nebenbei bemerkt großartig finde, schreibt sie von den GVS, den Gesprächsvermeidungsstrategien. Tatsächlich glaube ich, dass das ein Missverständnis bei der Übersetzung sein könnte. Denn meiner Meinung nach geht es ihr nicht darum, ein Gespräch zu vermeiden, sondern darum, das Gespräch einzubetten: Wo sind die Gesprächspartner genau und was machen sie, während sie miteinander sprechen? Das können die einfachsten Dinge sein wie Geschirr zu spülen, während eines Telefonats aus dem Fenster zu sehen oder auf einem Block herumzukritzeln. Da ist alles möglich. Wichtig ist, dass ihr euch das genau überlegt, auch kleine Gesten einbaut. Jemand streicht sich die Haare hinters Ohr, beißt sich auf die Unterlippe, sieht auf seine Schuhe, beobachtet ein winziges Detail … Die Liste ist unendlich. Aber nur so bekommt eure Szene Tiefe und nur so spielt sich beim Leser ein Film im Kopf ab. Euer Dialog kann noch so wortgewandt und witzig sein. Wenn ihr ihn nicht richtig einbettet, hat er keine Chance zu wirken. Dann liest der Leser nur Buchstaben auf Papier, statt die Szene wirklich vor sich zu sehen.
Natürlich müsst ihr darauf achten, dass es auch Sinn ergibt, was ihr da schreibt. Ich weiß noch genau, dass ich bei der Korrektur von Ellas Geschichte auf einmal gelesen habe, wie Maja in der Backstube aufgewühlt aufspringt, obwohl sie sich gar nicht gesetzt hat. Dieses Detail ist mir nicht aufgefallen, weil ich mir Dinge so gut merken kann, sondern weil ich Maja beim Lesen vor mir gesehen hab und sie stand. Sie konnte nicht aufgebracht aufspringen, weil sie sich gar nicht gesetzt hatte. Dieses Detail habe ich nur bemerkt, weil ich das eigentliche Gespräch zwischen Ella und Maja eingebettet hatte, weil ich vor mir gesehen habe, was die beiden gerade tun.
Natürlich war das für mich einfacher, weil ich mir die Geschichte ausgedacht habe und sie vollständig im Kopf hatte. Aber ich hoffe, es ist dennoch deutlich geworden, was ich meine und wie wichtig die Einbettung eurer Dialoge ist. Und ich hoffe, dass ihr mit dem Tipp etwas anfangen könnt.
Alles Liebe,
eure Anne
Wie man Dialoge in die Geschichte einbettet…
